Musiktipps

„Wenn sich bei so einem tollen Moment Leute um­drehen und jubeln, werde ich immer rot“

Ein Gespräch über Techno in der Pandemie mit Jana Sotzko und Thomas Meinecke.

Jana Sotzko: Angesichts der coronabedingten Kontaktbeschränkungen flammen im Zusammenhang mit Clubkultur vermehrt frühere Diskussionen wieder auf. Was sind safe spaces, was ist öffentlicher Raum, gibt es ein Recht auf Feiern? Wo siehst du hier Anknüpfungspunkte an deine Arbeit als DJ und Schriftsteller?

Thomas Meinecke: Es liegt ja seit dem ersten lockdown so ein merkwürdiger Mehltau über dem Land, und eine gewisse Faszination üben dieser Dornröschenschlaf, diese Verlangsamung, das Stillwerden schon auf mich aus. Alles, worauf ich sonst aus der auflegenden und schreibenden Perspektive schaue, wirkt wie abgeschnitten. Mich interessiert, inwiefern sich dadurch gerade eine gewisse Historizität des Dancefloors as we knew it offenbart.

JS: Und wie empfindest du diese Zwangspause, einerseits im größeren historischen Kontext von Clubmusik und andererseits angesichts einer längst etablierten Clubkultur?

TM: Ich liebe Lärm, vor allem den Lärm der unteren Frequenzbereiche, für mich ist ein Leben ohne Bässe schwer vorstellbar. Dass alles gerade so stillgelegt ist, eröffnet zumindest einen neuen Blickwinkel auf das, was man im Laufe der Jahrzehnte im Nachtleben kennen und lieben gelernt hat. Es ist ein gemischtes Gefühl: Einerseits kann man froh sein über das Erlebte, andererseits habe ich mich schon meinen Enkeln vom Auflegen in der »Panoramabar« ­erzählen sehen, wenn die nur noch überwucherte, den Archäologen ­vorbehaltene Landschaft ist. Hoffentlich kommt es nicht so weit. Spannend finde ich momentan, wie sich die Szene – das heißt größere und interessantere Clubs – am Kopf kratzt, spätestens nachdem sie die Fotos dieser Schlauchbootdemonstranten für die Wiedereröffnung ihrer nächt­lichen Tempel gesehen hat. Diejenigen, die das Nachtleben wirklich schmeißen, müssen sich jetzt fragen: »Sind das eigentlich die Leute, für die wir arbeiten wollen? Für die wir Musik, DJs, Getränke, Räume liefern?« Daran schließt sich die Überlegung an, ob das Ganze nicht eventuell in einem neoliberalen Akzelerationsmechanismus festgefahren ist, oder besser gesagt rotiert. Wo sind wir hier gelandet? Selten hat eine Subkultur so viele Jahrzehnte lang ungestört und spätestens seit Wo­wereit sogar ausgiebig gefördert bestanden. Trotzdem sollte man sich immer wieder in Erinnerung rufen, dass auch diese Auswüchse in einer dissidenten Subkultur wurzeln.

© JungleWorld, Dschungel, 17.9.2020

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