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SZ: „Music never sleeps NYC“ : Die Klassikfamilie Von Michael Stallknecht

Manche kritisieren das Not-Streaming als unbeholfen. Ein Projekt in New York zeigt vor allem die Kraft der Hausmusik. Am Freitagabend um sieben Uhr örtlicher Zeit stehen Tausende New Yorker auf ihren Balkonen und in ihren Hauseingängen, um gemeinsam zu klatschen für all die Mitarbeiter im Gesundheitssystem, die derzeit Schwerstarbeit leisten.

Auch David Robertson und Orli Shaham klatschen um diese Zeit, freilich auf besonders musikalische Weise. Der Dirigent, bekannt vor allem für sein Engagement in der zeitgenössischen Musik, und seine Frau, eine Pianistin, performen gemeinsam das Stück „Clapping Music“ für vier klatschende Hände von Steve Reich in ihrem Wohnzimmer, während ihnen die Welt dabei zusehen kann. Schließlich müssen sie gerade wie alle anderen New Yorker zu Hause bleiben, statt Konzerte rund um den Globus zu geben. Stattdessen beteiligen sie sich an einem Projekt, wie es die musikalische Welt noch nicht erlebt hat: einem 24-stündigen Dauerstream aus den musikalischen Wohnzimmern New Yorks. „Music never sleeps NYC“ lautet die Botschaft, die am Ende knapp einhundert Musiker von Freitag- bis Samstagnacht hiesiger Zeit auch nach Deutschland brachten.

Seit über zwanzig Jahren wohnt hier auch der Cellist Jan Vogler, der gleichzeitig, etwa als Leiter der Dresdner Musikfestspiele, auch seiner Heimat im deutschen Osten eng verbunden geblieben ist. Er habe immer die Gelassenheit der New Yorker selbst in Ausnahmesituationen bewundert, sagt er am Telefon, bevor das Streaming-Konzert losgeht. Vor gut einer Woche hat er einen kühnen Plan gefasst: der Welt zu zeigen, welche kreative Kraft auch in der Krise in dieser Stadt steckt. „Wenn wir den Geist von New York momentan schon nicht leben können, dann wollen wir ihn wenigstens musizieren.“

In der Krise kehrt die Musik zu ihren Ursprüngen zurück

Also begann Vogler, seine New Yorker Freunde durchzutelefonieren, ob sie sich an dem Projekt beteiligen wollen. Die meisten hätten binnen Minuten zugesagt, erzählt er. Viele Prominente sind dabei, und, bei einem Cellisten wie Vogler berufsbedingt, viele Streicher: So spielt Midori vor einer japanischen Wandtapete Johann Sebastian Bachs Erste Partita für Violine solo, und der Countertenor Anthony Roth Costanzo begleitet sich selbst beim Klagegesang der Dido aus Henry Purcells „Dido und Aeneas“ am Klavier. Manche Beteiligte finden auf technisch avancierte Weise eine Brücke zueinander wie der Mandolinist Chris Thile und die Brüder Eric und Colin Jacobson, die gemeinsam, verbunden nur durch das Internet, ein Arrangement von Bachs Doppelkonzert für zwei Violinen spielen….

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