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SZ – Jazzkolumne: Herbie Hancock erklärt den richtigen Piano-Winkel von Andrian Kreye

Der Pixar-Film „Soul“ erfasst das Wesen des Jazz, wie kaum ein Werk vorher. Das liegt auch an seinen exzellenten Beratern und ist – mit Blick in die Historie – beileibe nicht selbstverständlich.

Das Kino und der Jazz hatten seit jeher eine schwierige Beziehung, was vor allem an den sehr unterschiedlichen Produktionsweisen liegt. Der Film ist eine Gemeinschaftsanstrengung für eine universale Erzählung, bei der der Weg von der Idee zum Werk meist Jahre dauert. Der Jazz funktioniert dagegen mit absoluter Gegenwärtigkeit und der Codierung der Ideen eines Einzelnen in den Chiffren der Subkulturen und des Cool. Umso erstaunlicher also, dass es mit „Soul“ nun ein Animationsfilm ist, ein Weihnachtshit aus dem biedersten aller Filmgenres, der den Jazz kongenial auf die Leinwand übertragen hat. Sicher, der Jazz ist in diesem Film nur das Vehikel für eine betuliche Botschaft der Achtsamkeit. Umso erstaunlicher, dass die Filmemacher von „Soul“ das Wesen des Jazz so gut verstanden haben.

Das liegt nicht zuletzt am „intellectual crowdsourcing“, das die Pixar-Leute bei ihren Filmen betreiben, um die Welten ihrer Filme möglichst präzise wiederzugeben. Gleich elf „Kultur und Musik“-Berater haben sie engagiert.

Dazu gehört zum Beispiel Peter Archer, Musiklehrer an der Mittelschule Nummer 74 in Bayside, einem bürgerlichen Viertel im New Yorker Stadtbezirk Queens, der seinen Traum vom Musikerleben ähnlich wie die Filmfigur schon vor Jahren in einer Lehrerlaufbahn versenkte. Aber auch Jazzgrößen wie die Schlagzeugerin Terri Lyne Carrington oder der Klaviertitan Herbie Hancock. Der erklärte den Filmemachern so penible Details wie den Winkel, in dem das Klavier auf der Bühne des Jazzclubs stehen sollte. Der wurde im Film sehr deutlich dem New Yorker „Village Vanguard“ nachempfunden, in dem Hancock in den inzwischen sechzig Jahren seiner Jazzkarriere oft gespielt hat. Der Flügel, so erklärte er ihnen, dürfe nicht quer zum Publikum stehen, sondern so, dass die Zuhörer dem Pianisten auf die Finger schauen können. Die Berater brachten dem Team aber auch jenen Zustand näher, in dem Jazzmusiker in eine Art Trance fallen und in der Improvisation aufgehen.



© Süddeutsche Zeitung, Jazzkolumne, 11.1.2021

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