MusiktippsNachhören

Studio elektronische Musik: techné [79] – Sinusitis & nexus [30] – Segmod

Im ersten Teil: Der Sinus ist eine mathematische Funktion. Graphisch dargestellt ist er eine endlose, gleichförmige Welle. Und in fast allen Lebensbereichen lassen sich elementare Bewegungsmuster auf ihn zurückführen: Schallwellen, Wasserwellen, Radiowellen, Licht, Röntgenstrahlung und so fort.

Im zweiten Teil: In der digitalen Klangsynthese ging es jahrzehntelang darum, zu demonstrieren, wie der Sound akustischer Instrumente mit Mitteln der Technologie nachgebildet werden kann. Mittlerweile allerdings – in einer Zeit, da die Errungenschaften der Digitaltechnik längst einen astronomischen Möglichkeitsraum eröffnet haben – stehen wieder andere Gedanken im Zentrum: so etwa in dem Projekt „Segmod“ von Martin Lorenz und Luc Döbereiner.

Mit Leonie Reineke

techné [79]: Sinusitis

Eine Sonderposition nimmt der klingende Sinus ein – der Sinuston. In der Natur kommt er nicht vor, er kann ausschließlich künstlich erzeugt werden. Seine Klangfarbe wird oft als steril, neutral, leer oder charakterlos beschrieben. Und trotzdem – oder möglicherweise genau deshalb? – übt der Sinuston eine Faszination auf uns aus. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts taucht der Sinuston immer wieder in musikalischen Kontexten auf. Und selbst heute scheint sein Klang, der ebenso zeitlos ist wie er doch starke Assoziationen zur frühen elektronischen Musik hervorruft, Komponistinnen und Komponisten aus unterschiedlichen Bereichen zeitgenössischer Musik zu beeindrucken.

Mit Stücken von Thomas Ankersmit, Chiyoko Slavnics, Ryoji Ikeda, Ryoko Akama, Sachiko M, Christoph Korn, Hanno Leichtmann, Thomas Stiegler, Hannes Seidl, Synthenphall, Ruth Anderson

nexus [30]: Segmod

Die beiden Komponisten und Elektronikkünstler betreiben mit ihrem neu entwickelten Syntheseverfahren keine klangliche Mimesis, sondern es geht ihnen um eine computergenerierte Musik „als solche“. Gemeinsam haben sie das Non-Standard-Syntheseprogramm Segmod entwickelt, mit dem für jeden Zyklus einer einfachen Wellenform (etwa einer Sinusschwingung) die Frequenz festgelegt werden kann. So erfolgt eine Frequenzmodulation nicht kontinuierlich, sondern pro Zyklus bzw. „segmentiert“ – ein Ansatz, der denkbar weit entfernt ist von sämtlichen natürlichen Schwingungsvorgängen. Es entsteht eine Musik, die als genuin „digital“bezeichnet werden kann.

Für ihre erste mit Segmod produzierte CD beauftragten Lorenz und Döbereiner sechzehn Komponistinnen und Komponisten, mit dem Programm zu arbeiten. Sie alle entwickelten kurze Stücke, die verschiedene Spielarten des Syntheseverfahrens involvieren. Und trotz der starken Beschränkung, die Segmod mit sich bringt – den Umgang mit lediglich einem Parameter: der Frequenz –, ist eine enorme Bandbreite klanglicher Resultate entstanden; von minimalistischen Rhythmuskompositionen über virtuose Klang(farb)-Artistik bis hin zu rein konzeptuellen Arbeiten. 2019 ist die CD beim Label „Dumpf“ erschienen.

© WDR 3, Studio elektronische Musik, 3.10.2020

KomponistTitel
David PockneeMel
Lula Romeromtrak
Veronika Klaustschilpkrr
Ji Youn KangPulSegMod
Yota Morimotosgmd
Martin LorenzFrequencies II / Frequencies III
Artemi-Maria GiotiDisjunction
Casper SchipperDon’t tell Nyquist
Miriam AkkermannShadow
Hanns Holger RutzLégende (Studie)
Demian JakobDO / DO 9 / RE
Hadas Pe’eryThe Spectre of Fibonaccism
Luc DöbereinerKeneko
David PirròComputational Studies of Entanglement #1

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert