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R.I.P. Phil Spector: Das Monströse in der Musik und im Menschen

Phil Spector war der erste Musikproduzent, der selbst Künstler war, er hat einige der größten Songs der Pop-Historie produziert. Und er war ein Verbrecher. Ein Nachruf von Dirk Peitz. Weiter unten folgen weitere Nachrufe.

Es gibt diese Stelle in dem berühmten Porträt von Tom Wolfe über Phil Spector aus dem Jahr 1964, die man leicht überlesen kann, aber die schon fast alles zu erzählen scheint. Spector, den Wolfe in seinem 1968 auch auf Deutsch erschienenen Text den „ersten Tycoon der Teenager“ nennt und der zu diesem Zeitpunkt erst 23 Jahre alt, aber bereits Plattenmillionär ist, sitzt mit einer Handvoll seiner Leute in einem Flugzeug. Das rollt auf dem Vorfeld des Flughafens von Los Angeles Richtung Startbahn, doch Spector hat eine Eingebung.

Er ist sich sicher: Die Maschine wird beim Abheben auseinanderbrechen. Also ruft er eine Flugbegleiterin an seinen Platz und sagt: „Ich möchte gerne aussteigen.“ Und tatsächlich, dieser nur 1,65 Meter große, in seinem Wildlederwams bizarr aussehende junge Mann macht einen derartigen Aufstand, dass die Maschine schließlich umdreht und zum Gate zurückrollt, alle Passagiere müssen aussteigen wegen Spector. Nur dessen Clique ist voll des Lobes und der Dankbarkeit.

„Phil, Baby, du hast mir das Leben gerettet.“

„Phil, wenn du sagst, daß etwas faul ist, dann ist es faul.“

„Phil, Baby, du hast es mal wieder geschafft. Du hast es mal wieder geschafft.“

In dieser Szene steckt – ob sie sich nun so zugetragen hat oder nicht, Wolfe war offenbar nicht dabei – schon das ganze Verderben, das Ruhm, Macht und Reichtum bedeuten können. Im Fall von Phil Spector, der den Musikproduzenten als Künstler neu erfand sowie die Aufnahmetechnik der sogenannten Wall of Sound, geht es weiter mit missbräuchlichem Verhalten und endet mit einem Gewaltverbrechen. Es gibt da selbstverständlich keine direkte Linie, die von einem zum anderen führt, auch wenn es im Rückblick so erscheinen mag. In dem Buch The Kandy-Kolored Tangerine-Flake Streamline Baby von Tom Wolfe, in dem das Spector-Porträt steht, sehen die Sechzigerjahre zwar noch bonbonfarben aus, ihre dunkle, insbesondere kalifornische Geschichte wird aber (sehr viel) später Joan Didion in The White Album erzählen.

© Zeit Online, Kultur, Musik, 18.1.2021

Julian Weber (taz), Alexis Petridis (Freitag), Michael Pilz (Welt), Harry Nutt (FR), Edo Reents (FAZ) schreiben Nachrufe auf den Produzenten Phil Spector. 

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