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NZZ: Thema der Woche: Dem WDR ist beim «Oma-Gate» nicht einfach nur ein Fehler unterlaufen. Der Sender selbst ist der Fehler.

Wer nicht wusste, dass der Westdeutsche Rundfunk einen Kinderchor hat, der weiss es jetzt. Die halbe Republik hat inzwischen vermutlich das Video gesehen, in dem die Kleinen ihre und andere Omas zu «Umweltsäuen» erklären, oder zumindest davon gehört.

Ebenso kennt man jetzt jenen Mitarbeiter des Senders, der Deutschlands Omas zusätzlich zu «Nazisäuen» gemacht hat. Tausende aufgeregte Tweets, zig politische Stellungnahmen und eine Handvoll mal mehr, mal weniger überzeugende Entschuldigungen später könnte man das «Oma-Gate» getaufte Fiasko als Einzelfall abbuchen. Aber das wäre falsch.
Die Diskussion sollte jetzt erst beginnen. Denn dem WDR ist nicht einfach nur ein Fehler unterlaufen. Der Riesensender, mit knapp 4300 festen Mitarbeitern der grösste des Landes und, nach der BBC, der zweitgrösste des Kontinents, ist selbst ein Fehler. Um das zu erkennen, muss man erst das gebührenfinanzierte System als solches und dann den WDR im Besonderen in den Blick nehmen.
Wenn die Deutschen über ihren öffentlichrechtlichen Rundfunk sprechen, erinnern die Diskussionen schnell an die Komödie «Und täglich grüsst das Murmeltier», in der Bill Murray ein und denselben Tag wieder und wieder durchleben muss. Doch während der Filmheld irgendwann eine Entwicklung zum Besseren durchläuft und seinem Schicksal am Ende entrinnt, kommt die Debatte in Deutschland seit Jahren kein Stück voran. Die einen verweisen gebetsmühlenartig auf die Grösse und die Kosten des teuersten Rundfunksystems der Welt; viele beklagen auch eine linke Schlagseite. Die Gegenseite verweist auf Nachrichtensendungen oder aufwendige Auslandsreportagen und erklärt, das Publikum müsste ohne öffentlichrechtliche Sender auf derlei verzichten. Es sind in der Regel Mitarbeiter oder Personen des öffentlichen Lebens, die sich den Sendern verpflichtet fühlen, mal aus wirtschaftlicher Abhängigkeit, mal kraft eines Aufsichtsamtes…
© NZZ, Kommentar, 3.1.2020

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