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NZZ: Jazz und Rock feierten einst die grosse Freiheit. Doch diese ist inzwischen eingeschlafen. Man könnte sie wieder wecken

Die Freiheit war seine Botschaft. Aber die Welt wollte nichts mehr davon hören. Am wachsenden Desinteresse ging der Saxofonist Albert Ayler zugrunde, moralisch wie materiell. Als man seinen Leichnam im November 1970 aus dem East River zog, unweit der Liberty-Statue, konnte man die Todesursache nicht mehr eruieren. Alles aber deutete auf einen Suizid des 34-jährigen Musikers.

Von Ueli Bernays

Jahrelang hatte der Afroamerikaner für die Idee einer «Free Music» gekämpft. Er löste Melodien aus starrer Fixierung, er befreite die Improvisation von Regeln und Klischees, um auf seinem Tenorsaxofon eine hymnische Kraft zu erzeugen. Albert Ayler holte stets tief Luft im Blues und Gospel, um Kinderlieder, Zirkusmusik, Schlager und Hymnen mit einer fiebrigen Expressivität zu befeuern.

Sein Sound lebte dabei von einer ungebändigten Körperlichkeit, aus der der emotionale Lärm des Schluchzens, Wimmerns, Rülpsens, Seufzens und Jauchzens herauszuhören war. Und doch steigerte sich der Musiker immer wieder in die religiöse Inbrunst, in anarchische Fürbitten.

https://youtu.be/Bfs3CwWCvqw

Ende einer Ära

Vor fünfzig Jahren machte der tragische Tod aus Albert Ayler eine geradezu mythische Figur. Rückblickend aber erscheint einem das traurige Ereignis auch wie das symbolische Ende der Ära Free Jazz. Zumal John Coltrane, der bedeutendste Free-Jazz-Pionier, der jahrelang um harmonische Erweiterungen und Abstraktion gerungen hatte, bereits 1967 verstorben war.

© NZZ, Feuilleton, 23.11.2020

2 Gedanken zu „NZZ: Jazz und Rock feierten einst die grosse Freiheit. Doch diese ist inzwischen eingeschlafen. Man könnte sie wieder wecken

  • Lucky

    Ayler ist inzwischen angekommen in den Ohren vieler Jazzhörer. Er wirkt heute genauso wenig schockierend wie Ornette Coleman oder der späte John Coltrane. Cecil Taylor hört sich für mich um einiges sperriger an, vielleicht weil so viel und so schnell spielte, und dabei nie wirklich locker ließ. Aber Ayler genießt heute ein Ansehen, das er vermutlich zu Lebzeiten nicht hatte.

    Hier ein Hörtipp aus meiner psychischen Hütte – Ayler’s Komposition „Ghosts“ in verschiedenen Cover-Versionen:
    https://radiohoerer.info/luckys-lph-240-ghosts-by-albert-ayler-1975-2018/
    https://oranglucky.blogspot.com/2019/06/240.html

    🙂

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  • portfuzzle

    Ja, da hast du völlig recht. Vieles hat sich gewandelt. Heute hören wir anders. Deine „Ghost“ Variations sind der Hammer!

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