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„Kunstlegenden machen Musik“ Selten gehörte Musik Von Lüpertz, Wiener, Attersee, Rühm und Nitsch

Es war ein Gipfeltreffen der Kunstlegenden: Am 16. Juni 2019 folgten Markus Lüpertz, Hermann Nitsch, Gerhard Rühm sowie Ingrid und Oswald Wiener der Einladung von Christian Ludwig Attersee, um gemeinsam im Belvedere 21 zu musizieren.

Mit Rainer Elstner

Man schloss dabei an eine seit den 1960er Jahren entwickelte, offene Konzertform an. „Bei der Ingrid weiß ich es nicht, aber wir Künstler sind ja alle um die 80 – Markus Lüpertz ist mit 78 der Jüngste, Gerhard Rühm ist fast 90“, so Attersee über dieses historische Zusammentreffen. „Wir sind schon ein erfahrenes Team“.

„Gemeinschaftsarbeiten zu machen war ja gewissermaßen schon eine Art Tradition innerhalb der Wiener Gruppe“, erinnert sich Gerhard Rühm. „Da sind immer Sachen entstanden, die einer allein nie gemacht hätte.“

Musik spielte in den Konzepten der aufsehenerregenden Kunst, die sich in Österreich (und später im Berliner Exil dieser Szene) ab den 1960er Jahre entwickelt hat, eine tragende Rolle. Das gilt sowohl für die Wiener Aktionisten als auch für das Werk einzelner Kunstschaffender, die mit den Aktionisten eng befreundet waren. 35 Jahre nachdem Christian Ludwig Attersee zum ersten Mal das damalige 20er Haus mit seiner Matinee zum Beben gebracht hat, kehrte er anlässlich seiner Ausstellung „Attersee. Feuerstelle“ an den Ort des Geschehens zurück.

Musiziert wurde unter einem Titel, der Anfang der 1970er Jahre ausgedacht worden ist: „Selten gehörte Musik“. Den Ursprung hat diese Form des gemeinsamen Improvisierens in den „Berliner Dichterworkshops“. Dort „kam eine Mehrschichtigkeit zustande, die aufeinander eingespielte, in gemeinsamem Stil musizierende Improvisationsgruppen selten erreichen“, erklärt Rühm den Beginn dieser kollektiven Kunstform. Das Credo: „Stillosigkeit also als unmittelbares Ausdrucksprinzip, andererseits unbekümmerte Verwendung musikalischer Zitate und Spielformen“.

„Das kommt zum einen aus dem Geist der Grenzüberschreitung“, erläutert Stella Rollig, Direktorin des Belvedere. „Andererseits speist sich diese Nachkriegskunst aus Fluxus – da haben erstmals die Künstler die Grenzen zwischen den Disziplinen ganz ungeniert überschritten und haben sich auch einen gewissen Do-it-yourself-Geist erlaubt. Man muss nicht akademisch in jeder Disziplin, die man ausübt, gebildet sein, sondern man maßt sich einfach an, Dinge zu realisieren“, beschreibt sie den Zugang, der zu Kunstprojekten wie „Selten gehörte Musik“ geführt hat.

„Musik ist eine wunderbare Sache“, fasst Oswald Wiener zusammen. „Weil wir ihre Wirkungsmechanismen nicht verstehen – aber fast jeder spürt sie. Allerdings ist die Raffinesse, mit der sie gespürt wird, bei verschiedenen Personen natürlich sehr verschieden. Wenn man – um Cage zu zitieren – einen sensitiven Menschen nimmt: Der hört alles, was erklingt, als Musik. Das kommt hier natürlich stark zum Tragen.“


© Ö1, Zeit-Ton, 12.7.2019

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