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Jazzgitarristin Mary Halvorson: Die Kunst des kunstlosen Fallens

Sie mag den amtlich-mulmigen Jazzgitarrensound ebenso wenig wie die überdrehte Virtuosität im Rock, sondern orientiert sich eher an Bläsern: Mary Halvorson definiert mit ihrer Band Code Girl die Gitarrenmusik neu.

Von Peter Kemper


Als James Brown 1966 sein „It’s a Man’s Man’s Man’s World“ anstimmte, hatte er vielleicht auch die Welt der Jazzgitarre im Blick. Denn die war bis vor wenigen Jahren eine reine Männerdomäne. Dass sich das inzwischen geändert hat, ist nicht zuletzt der Wahl-New-Yorkerin Mary Halvorson zu verdanken. Während ihrer zahlreichen Studienaufenthalte war sie stets die einzige Frau, die das Griffbrett traktierte, und musste sich oft anhören: „Ganz toll für eine Frau!“ Dabei stammen Halvorsons Ideen und Konzepte aus einer Art Anti-Gitarren-Haltung. Sie mag den amtlich-mulmigen Jazzgitarren-Sound ebenso wenig wie die überdrehte Virtuosität der Gunslinger im Rock. Vielleicht nennt sie deshalb als Haupteinflüsse auch keine Gitarrenkollegen, sondern Bläser: „Eric Dolphy, John Coltrane und Miles Davis“.

Eine weitere Auffälligkeit: Wer Bilder von Mary Halvorson mit ihrer Gitarre im Arm sieht, fragt sich, warum sich die zierliche Amerikanerin ausgerechnet in eine so riesige Archtop-Gitarre verlieben musste, die fast größer als sie selbst wirkt. Doch ihre „Guild Artist Award“ aus dem Jahr 1970 bietet ihr exakt jenen Klangfarbenreichtum, den sie für ihre Neudefinition der Jazzgitarre braucht. Das Instrument kommt deshalb auch in ihrem jüngsten, bisher ambitioniertesten Projekt zu Wort: Das Album „Artlessly Falling“ von ihrer Band Code Girl – der Name geht auf Anthony Braxton zurück, der Halvorson während einer gemeinsamen Tour den Spitznamen verpasste – wirkt wie eine großangelegte Stickerei aus Texten und Tönen.

© FAZ, Feuilleton, 2.12.2020

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