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„Jazz ist ein Prozess, kein Ding!“ Ein historischer Jazz-Talk von Michael Naura mit Ekkehard Jost.

Am 22. Januar wäre Ekkehard Jost 80 Jahre alt geworden. Der 2017 verstorbene Saxofonist und Musikwissenschaftler war ein brillanter Denker und Verfasser von Standardwerken, wie der „Sozialgeschichte des Jazz in den USA“, „Free Jazz“ und „Europas Jazz 1960-80“. Im Mai 1985 war Jost zu Gast bei dem langjährigen Jazzredakteur Michael Naura (1934-2017), ein nicht minder profunder und wortgewandter Kenner der Jazzgeschichte.

Zwischen den beiden entwickelte sich rasch ein intelligenter und inspirierter Dialog, in dem sich bei allem Fachwissen und der gemeinsamen Liebe zur Materie auch einige interessante Widersprüche ergaben: Naura liebte das markige Wort und suchte oft das Anschauliche, Plakative – auch um die Dinge für die Hörer verständlich auf den Punkt zu bringen. Diesem Anspruch begegnete der Wissenschaftler Jost immer wieder verschmitzt mit dem Ringen um begriffliche Präzision, die das Komplexe das sein lässt, was es ist: komplex.

„Wer Balladen und Blues spielen kann, der kann alles spielen, der ist der Jazzmusiker par excellence. Stimmst Du dem zu?“, fragt Naura an einer Stelle. „Ach weißt Du, es gibt kein Patentrezept“, erwidert Jost, „eine Ballade von John Lewis ist etwas ganz anderes als eine von Charlie Parker oder Archie Shepp. Und meinst Du Blues als Formschema oder als emotionale Qualität?“ Und schon sind wir als Hörer mittendrin in einer anregenden Diskussion um Blues oder Ballade, Kopf oder Bauch als Quelle für eine gute Jazzimprovisation – sowie um einige Kernfragen: Was ist Jazz? Kann man diese Musik überhaupt auf einen Begriff bringen? Was am Jazz ist amerikanisch und was europäisch? Was will oder kann die Jazzkritik leisten? Wie lässt sich Jazz an der Hochschule lehren und lernen? Themen, die uns heute, mehr als 30 Jahre nach diesem spannenden Gespräch, immer noch beschäftigen.

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© NDRInfo, Jazz Special, 2.2.2018

2 Gedanken zu „„Jazz ist ein Prozess, kein Ding!“ Ein historischer Jazz-Talk von Michael Naura mit Ekkehard Jost.

  • Lucky

    Ich habe das Gespräch im Radio gehört (nicht damals, sondern letzte Woche), und ich mochte die Fragen von Naura überhaupt nicht. Jost kam mir wesentlich genauer und klarer vor, weniger populistisch und verallgemeinernd. Ich mag auch Josts Bücher, einige stehen in meinem Schrank, „Europas Jazz“, „Jazzmusiker“ und „Sozialgeschichte dess Jazz“ (ganz schön viel „Jazz“ in den Titeln…).

    Danke für den Radiotipp zu dieser Sendung – ich hätte sie wie immer verpasst. 🙂

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  • portfuzzle

    Gerne ! Schade das Naura immer wieder versucht Jost festzulegen. Aber gerade bei Jazz und seinen vielen Spielformen ist das schlicht unmöglich. Trotz allem ein interessanter Dialog.

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