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In memoriam Pierre Henry + Video Portrait „The Art of Sound“ von 2007

Der französische Komponist Pierre Henry ist tot. Der Pionier der elektronischen Musik und der Musique concrète starb vergangene Nacht im Alter von 89 Jahren.

Mit Rainer Elstner, Dorothee Frank und Christian Scheib.

Henry hatte neben Film- und Ballettmusik (u. a. für Maurice Bejart) vielschichtige Musikcollagen aus Umweltgeräuschen, Textsequenzen und musikalischen Zitaten eigener und fremder Werke entworfen und war damit nicht zuletzt auch ein Vorreiter des Sampling.

In Agenturmeldungen wird Henry als „Großvater des Techno“ tituliert. Das mag erstens flapsig klingen und zweitens hat Henry diese Bezeichnung abgelehnt. Trotzdem steckt wohl ein Körnchen Wahrheit darin, zumal er in den letzten zwei Jahrzehnten als großer Wiederentdeckter gefeiert wurde. Henry wurde von Festival zu Festival gereicht – so ist er etwa 2008 beim Eröffnungskonzert des CTM-Festivals in Berlin aufgetreten. Begonnen hat seine Wiederentdeckung durch jüngere Musikschaffende 1997 – mit der Neuveröffentlichung seiner „Messe pour le temps présent“.

Die Werke von Pierre Henry waren Impulsgeber und sie waren noch auf einer höheren Ebene bedeutend. Die Pioniere der Musique concrète, zu denen Henry zählte, haben unser Musikverständnis von Grund auf revolutioniert: Nämlich das Verständnis, was Musik sein kann – wenn man Klänge (auch Instrumentalklänge!) nur genau genug untersucht, und durch welche Methoden man in weiteren Schritten zu völlig neuen Klängen kommen kann. Man begann zu entdecken, welche Qualitäten Geräusche und Klänge haben können, und wie man sie strukturieren kann.

Auf einer ganz banalen Ebene wäre ohne die Experimente der Musique concrète manches Meisterwerk der Beatles (etwa der Song „Revolution 9“) ebenso undenkbar wie Musikgenres von Industrial bis Noise. Ganz zu schweigen von der Entwicklung der Klang- und Radiokunst.

Die Geschichte des Komponisten Pierre Henry wird üblicherweise etwa so erzählt: Als Partner von Pierre Schaeffer war Henry einer der beiden Gründungsväter einer bestimmten Richtung elektro-akustischer Musik in den 1950er Jahren, der Pariser Schule der „Musique concrète“. Im Gegensatz zur klinisch genauen und sauberen Musik aus beispielsweise dem Kölner Rundfunkstudio, jener Musik, die in den 1950er Jahren vorerst die Definitionshoheit über elektronische Musik innehatte oder haben wollte, maß der Franzose Pierre Henry dem Alltäglichen und Geräuschhaften, dem Direkten und Unverblümten eine wichtige Rolle zu.

Gerade das ließ ihn nun zu einem bewunderten Ahnherren heutiger elektronischer Musik werden. Berühmtheit in Kreisen der Avantgarde erlangte er mit Tonbandwerken wie der „Symphonie pour un homme seul“, den strengen „Variationen über eine Tür und einen Atem“, später dann mit beispielsweise „Le Voyage“ nach dem tibetanischen Totenbuch, und „Le Livre des Morts Égyptien“ nach ägyptischen Totenbüchern.

Ende der 1990er, Anfang der Nullerjahre wurde Henry als großer Wiederentdeckter der europäischen elektronischen Musik gefeiert – auch in Österreich etwa im Rahmen von Wien Modern im Jahr 2000. Auch beim Jazzfestival Montreux stand seine Musik im Zentrum. Die 10. Symphonie wurde dort 1998 uraufgeführt und später als CD bei Philips veröffentlicht.

Ausgangspunkt dieser „10. Symphonie remix“ war ein Stück von Henry selbst, nämlich ebendiese Symphonie, die im Original aus dem Jahr 1979 den Titel „La dixième symphonie de Beethoven“ trug, also „Beethovens zehnte Symphonie“. Ausgehend von bestimmten Proportionen und Klangintensitäten der Beethovenschen Symphonien de- und rekonstruierte Pierre Henry eine leidenschaftliche Hommage an den großen Konstrukteur Beethoven.

Einer der „Hits“ von Henry war der Song „Psyché Rock“ aus dem Werk „Messe pour le temps présent“ (1967). In einem Remix von Fatboy Slim wurde er zum Titelsong der Animationsserie „Futurama“.

Portrait über Pierre Henry

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