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Hörspiele: Sie werden mir zum Rätsel, mein Vater / Wanderwörter

Dichter nutzen die neuen akustischen Möglichkeiten des Radios („Sie werden mir zum Rätsel, mein Vater“). – Suchen, Finden, sich erinnern („Wanderwörter“).

„Anders als im ‚absurden Theater‘ wird hier die Wirkung nicht aus der Verfremdung psychologischer Situationen bezogen, sondern unmittelbar aus dem sprachlichen Material.“ (Gerhard Rühm)

Über die burleske Horchkomödie „Sie werden mir zum Rätsel, mein Vater“ schreibt Gerhard Rühm: „Nach einer Reihe kleinerer Gemeinschaftsarbeiten, in denen eine literarische Technik der Montage entwickelt und demonstriert wurde, entstand als erste größere Gemeinschaftsarbeit in dieser Richtung das Hörspiel „Sie werden mir zum Rätsel, mein Vater“.
Anders als im „Absurden Theater“ wird hier die Wirkung nicht aus der Verfremdung psychologischer Situationen bezogen – das absurde Theater ist im Grunde nur das Negativ des traditionell psychologischen Theaters -, sondern unmittelbar aus dem sprachlichen Material: Aus der Verfremdung von Sätzen und Satzzusammenhängen. Sätze und Wörter sind eigenständige Elemente, die nicht der landläufigen, sozusagen praktischen Logik oder, wie im absurden Theater, deren Umkehrung folgen müssen, sondern – es handelt sich um ästhetische Produkte! – autonom manipulierbar sind.

„Absurde“, „komische“ Wirkungen beruhen nicht unbedingt auf aufgebauten Pointen, sondern sind Ergebnisse, realisierte „materiale“ Beziehungen, die – und dann sind sie immerhin einkalkuliert – Komik erst im Bezugssystem des Konsumenten gewinnen. So ist auch „Handlung“ in der Montage nicht eine vorgegebene, nach der sich die Sätze zu formulieren und auszurichten haben, sondern gewissermaßen eine entdeckte Interpretation. Unmittelbar aus der Arbeit und der Beschaffenheit, dem Assoziationsfeld des Materials, das einem bestimmten Repertoire meist fertig vorgefundener Sätze entstammt, wird das Konzept entwickelt, das nun rückwirkend den gewonnenen Text retuschiert und seinen weiteren Verlauf beeinflusst und begrenzt. Der „Sinn“ des ganzen Unternehmens: Das ästhetische Vergnügen – das Maß der Innovation – die Überraschung, die das Ergebnis provoziert; und darüber hinaus: Die Wahrnehmung neuer Beziehungen, die – wie könnte es bei sprachlichen anders sein – auch die gesellschaftlichen berühren und differenzieren im Sinne der Artikulation von Freiheit, der Freiheit des Ausdrucks.“

 

„Sie werden mir zum Rätsel, mein Vater“ Eine burleske Horchkomödie
Von Konrad Bayer und Gerhard Rühm
Regie: Klaus Schöning
Mit: Kurt Lieck, Christoph Quest, Gerhard Rühm
Produktion: WDR 1968

 

Als Christian Geissler im November 1998 für den Kunstpreis des Landes Niedersachsen zu danken hatte, sagte er zum Schluss: „Ich heiße meine Wörter gehen Wörter wandern wohin wer wandert wer weiß.“ Jetzt sind diese drei Zeilen in ihrer Ausarbeitung zu einem Hörweg geworden, zu einem Schneeweg im südöstlichen Polen. „Irrweg zielgewiß“, schreibt Geissler an die portugiesische Malerin Maria Lino und schreibt weiter: „Alles Böse hat Sinn. Der einzige Unsinn ist die Liebe. So ist sie unverlierbar. Auf gehts!“ Im Winter unterwegs ist ein alter Mensch. Er sucht im Wüstenweiß nach einem Halt, er sucht nach Worten, er rätselt. Von Schritt zu Schritt wird er feindlich beobachtet, auch zärtlich. Er stolpert und staunt. Ihn begleiten, klar und treu, Arbeitserinnerungen aus fünfzig Jahren Arbeit. „Was ich getan habe, so heiße ich“, schreibt Geissler an Lino: „Der da den Schnee abhinkt, der ist alt. Ich bin alt. Auf geht‘s!“

„Wanderwörter“ Von Christian Geissler
Mit: Christian Redl, Marc Oliver Bögel, Rosemarie Gerstenberg, Hedi Kriegheskotte, Pia Podgornik, Tom Skoruppa, Helmut Wöstmann, Christian Geissler
Ton: Alfred Habelitz
Regie: Ulrich Lampen/Constanze Renner
Produktion: SWR 2001


© Deutschlandfunk Kultur, 18.2.2018

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