Nachhören

Heinrich Böll „Das Gewissen der Literatur“

Heinrich Böll war der Inbegriff des engagierten Autors. Was kann er uns heute sagen, in einer Zeit, die wie wenige andere von politischen Umbrüchen geprägt ist? Der Schriftsteller Thomas von Steinaecker hat sich auf eine Spurensuche gemacht.

Von Thomas von Steinaecker

„Ich hasse den Krieg, ich hasse ihn aus tiefster Seele, den Krieg und jedes Leid, jedes Wort, jede Geste, jeden, der irgendwie etwas anderes kennt für den Krieg als Hass.“ Das schreibt Böll 1944 von der russischen Front nach Hause. Wie so viele seiner Generation hat er den Krieg am eigenen Leib erfahren. Mit Anfang 20 wird er Soldat, gerät in Gefangenschaft, steht nach seiner Heimkehr in Köln als gelernter Buchhändler vor dem Nichts. Aber anders als viele andere Deutsche empfindet er seine Erlebnisse und vor allem sein Überleben als Pflicht, im Nachkriegsdeutschland seine Stimme zu erheben und unbeirrt auf unliebsame Wahrheiten hinzuweisen, die man im Wirtschaftswunderdeutschland nur zu gerne verdrängen würde. Erzählungen wie „Wanderer kommst du nach Spa…“ oder der Roman „Billard um halb zehn“ sind sowohl Aufarbeitung der jüngsten Vergangenheit als auch Mahnung an seine Mitbürger. Bölls Erfolg ist enorm. Sehr schnell wird er im In- und Ausland zum Bestsellerautor, kann von seinen Büchern leben; wo immer er hinkommt, wird er gehört. Doch hier beginnt die zweite und in gewisser Weise tragische Geschichte des Menschen Böll: Nach seinem bis dahin kommerziell erfolgreichsten Roman „Ansichten eines Clowns“, 1961, wird er mehr und mehr zum engagierten Autor, zu einem Künstler, der sich einmischt; aber je mehr Reden er hält und Aufsätze schreibt, desto weniger belletristische Werke entstehen. Als dann 1971 „Gruppenbild mit Dame“ erscheint und er dafür als erster deutsche Schriftsteller nach dem Zweiten Weltkrieg den Literaturnobelpreis erhält, geht dieser äußere Triumph einher mit einer der traumatischsten Erfahrungen Bölls. Nach seinem Artikel „Will Ulrike Meinhof Gnade oder freies Geleit?“ im „Spiegel“ wird er über Jahre hinweg in den Medien diffamiert und von den Behörden schikaniert. Nur noch ein einziger Roman entsteht zu Lebzeiten. Allgemein hat sich die Meinung durchgesetzt, der engagierte Bürger Böll habe den einst hoch geschätzten Schriftsteller verdorben. So dichtete Robert Gernhardt: „Der Böll war als Typ wirklich Klasse. / Da stimmten Gesinnung und Kasse. / Er wär’ überhaupt erste Sahne, / wären da nicht die Romane.“

Und heute? Ist die große Epoche der allseits bewunderten Großschriftsteller und Humanisten vorbei? Wie unterscheidet sich Bölls

Rolle von der heutiger Schriftsteller? Kann ein Autor heute überhaupt noch etwas Vergleichbares bewirken? Der Schriftsteller und Filmemacher Thomas von Steinaecker nimmt die gegenwärtige politische Stimmung in Deutschland zum Anlass, Heinrich Böll, den politisch bewussten Autor par excellence, ästhetisch und inhaltlich einer Neubewertung zu unterziehen. Während der Lektüre der Hauptwerke Bölls, besucht er das Böll-Archiv in Köln und fährt nach Langenbroich, wo Böll starb und heute verfolgte Autoren aus aller Welt Gäste sind. Kollegen wie Uwe Tim und Eva Menasse beschreiben ihr Verhältnis zum Werk Bölls, Freunde wie Volker Schlöndorff und Reinhold Neven DuMont sowie sein Sohn René Böll erinnern sich an den Menschen Böll, der in zahlreichen Ausschnitten Interviews und Lesungen selbst zu Wort kommt. So entsteht ein persönliches, zeitgemäßes Porträt, angetrieben von der Suche nach etwas, was wir vielleicht mehr denn je brauchen: das Gewissen der Literatur.

© WDR 3, Feature, 16.1.2017

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert