Nachhören

„Ein Widerspruch in sich“ Eine Lange Nacht über den Schriftsteller William Faulkner … wieder online …

Er revolutionierte den Roman, schrieb aber auch für Hollywood, er entlarvte die Abgründe der amerikanischen Südstaaten – residierte aber selbst in der Villa eines Sklavenhalters. William Faulkner war so widersprüchlich wie seine Figuren. Von Tom Noga.

Stockholm, am 8. Dezember 1950: William Faulkner steht auf dem Podium im Saal der Schwedischen Akademie. Ein kleiner Mann mit Schnauzbart und eisgrauen Harren. Soeben ist ihm der Nobelpreis für Literatur verliehen worden. Faulkner trägt einen Frack, wie es sich damals noch gehörte, nicht den für ihn charakteristischen groben Tweed-Anzug. Er liest vom Blatt ab. Man meint ihm das Unwohlsein anzusehen: Kein einziges Mal blickt William Faulkner während seiner Rede auf. Ein Mann des Wortes, aber nicht des gesprochenen. Und erst recht keiner für das Podium, die Weltbühne.

Von den Verlierern der Modernisierung

Kein Wunder, denn die Welt, in der Faulkner zu Hause ist, das ist die Welt des US-amerikanischen Südens. Genauer gesagt: die Kleinstadt Oxford, in Mississippi, in der er fast sein ganzes Leben verbracht hat. Der ehemalige Reichtum des US-Staats wurde auf Kosten der schwarzen Sklaven verdient, die auf den Baumwollplantagen schuften mussten.Nach dem Bürgerkrieg und der Sklavenbefreiung erlebte Mississippi einen beispiellosen wirtschaftlichen Niedergang – der Wettbewerbsvorteil durch die billige Arbeitskraft war dahin. In diese Welt wurde William Faulkner im Jahr 1897 geboren. Sie prägt seine Romane: die Schuld der Weißen, ihren Wohlstand auf der Sklaverei aufgebaut zu haben. Und die Unfähigkeit, die Niederlage im Bürgerkrieg zu verwinden.

„Seine Geschichten spielen im Süden. Und die Figuren darin sind deutlich als Menschen aus dem Süden zu erkennen“, erzählt Jay Watson, Anglist und Professor für Literatur an der Ole Miss, der University of Mississippi in Oxford. Er gilt als weltweit renommiertester Forscher über das Leben und das Werk William Faulkners und hat zahlreiche Bücher dazu veröffentlicht. „Faulkner erzählt von den Verlierern der Modernisierung und von denen gibt es eine Menge. Deshalb haben auch postkoloniale Schriftsteller Faulkner sehr geschätzt.“

Revolutionäre Erzählweise

Zur Zeit der Nobelpreisverleihung ist Faulkner längst über seinen Zenit als Schriftsteller hinaus. Seine beiden großen Romane sind 20 beziehungsweise 13 Jahre zuvor erschienen. „Schall und Wahn“, das grandiose Frühwerk, eine mosaikartig aus verschiedenen Erzählperspektiven komponierte Familiengeschichte. Und „Absalom! Absalom!“, Faulkners Opus Magnum: ebenfalls eine Familiengeschichte, mehrere Generationen umspannend, ebenfalls aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt. Und gleichzeitig die Geschichte eines fiktiven Landkreises in Mississippi, von der Besiedlung in den 1830er-Jahren bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts.





Produktion dieser Langen Nacht:
Autor: Tom Noga; Regie: Tom Noga; Sprecher*innen: Daniel Berger, Thomas Krause, Thomas Balou Martin, Tom Jacobs, Daniel Wiemer, Lisa Bihl; Redaktion: Dr. Monika Künzel; Webdarstellung: Constantin Hühn.

Über den Autor:
Tom Noga, geboren 1960 in Bochum, lebt in Köln. Er produziert Hörspiele, Features, Reportagen und Filme. Mehrfach ausgezeichnet mit dem deutsch-amerikanischen Journalistenpreis, sowie 2012 mit dem deutschen Radiopreis. Zuletzt hat er fürs ZDF den Zweiteiler „Black in the USA“ realisiert. Die Südstaaten der USA, Faulkners Heimat, hat er mehrfach beruflich für zahlreiche Reportagen und Features bereist.

© Deutschlandfunk, Lange Nacht, 6.2.2021

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert