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„Die Zuneigung ist etwas Rätselvolles“ Theodor Fontane und die Frauen Von Thomas von Steinaecker

Theodor Fontane ist einer der großen Klassiker der deutschen Literatur. Bis heute haben seine Bücher Bestsellerstatus. Das liegt vor allem an seinen vielschichtigen Frauenporträts. Das Feature macht sich auf die Suche nach dem Geheimnis ihrer Faszination und ihrer Entstehung.

„Meine liebe Frau, es ist ja alles bittre Torheit; Du bist eine durch Deinen Mann, Deine Kinder, Deinen Lebensgang und Deine Lebensstellung, unendlich bevorzugte Frau. Es gibt wenige, die es so gut getroffen haben. Es ist bisher gegangen, gut gegangen, und ich sehe nicht ein, warum es nicht weiter gehen soll. Die einzige Gefahr liegt bei Dir. Nimm mir die Stimmung, und ich bin verloren. Ich beschwöre Dich, dass Du dessen eingedenk bist und das Deine tust, mich schwimmfähig zu erhalten.“
Ein Brief Fontanes an seine Frau Emilie aus dem Jahr 1876. Das Jahr, das glücklich beginnt, dann eine schwere Ehekrise hervorruft und mit Fontanes Beschluss endet, alles auf eine Karte zu setzen und Schriftsteller zu werden. Er ist 57 Jahre alt. Zwar kennt ein literarisch interessiertes Publikum seine Balladen und auch seine „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“; aber der Durchbruch blieb Fontane bislang verwehrt. Nie hat er als das gearbeitet, was man als „freier Autor“ bezeichnet. Er ist Reporter in London, schreibt Theaterkritiken – aber nun ist ihm endlich eine einträgliche feste Stelle angeboten worden, als erster Sekretär der Akademie der Künste. Emilie, die da bereits sieben Kinder zur Welt gebracht hat, ist mehr als erleichtert. Und umso entsetzter, als Fontane alles hinwirft und verkündet, er wolle fortan als Romancier leben. Ein völlig neues und weites Feld für ihn. Wie immer setzt sich Fontane durch. Wie immer reagiert Emilie auf ihre unnachahmliche Art. Nachdem sich die Wogen geglättet haben, hat sie, die Anglophile, einen ganz heutigen Tipp für Theodor: „Take it easy.“ Und sie hält ihren Mann „schwimmfähig“. Sie schreibt seine Manuskripte ab und spricht ihm Mut zu, auch nachdem die ersten Gehversuche in Sachen Roman zum Misserfolg werden. Denn Fontane ist mitnichten von Anfang an jener Erfolgsautor, den wir vor Augen haben. Dabei schreibt er über ein Thema, das auch damals einiges an Skandalpotential in sich birgt: Das Schicksal junger Frauen, die gegen die Gesellschaft aufbegehren – mit sehr unterschiedlichem Ausgang. Vom Ehebruch mit Happyend in „L’Adultera“ über die ergreifende Resignation in „Irrungen, Wirrungen“ bis hin zum schlimmstmöglichen Ende in „Effi Briest“.
Als der Roman 1894 erscheint, ist Fontane 75 Jahre alt. Das Buch wird zum lang ersehnten Durchbruch. Und Fontane nimmt ein Buch in Angriff, das vielleicht sein radikalstes wird: „Mathilde Möring“, der Roman über eine erstaunlich emanzipierte Frau, der vielleicht sogar seinem Autor zu radikal erschien: Zu Lebzeiten bleibt er unveröffentlicht.
Was aber macht diesen unverwechselbaren Fontane-Sound aus, mit dem er nicht nur das Berlin seiner Epoche so prägnant einfängt, sondern sich auch seinen weiblichen Figuren auf eine Weise nähert, die in ihrer Sensibilität immer noch erstaunt? Wie progressiv waren Fontanes eigene Positionen bezüglich Frauenrechte und Emanzipation? Und welche Rolle spielte bei der Entstehung seiner Bücher seine einzige Tochter Martha, sein Lieblings- und zugleich Sorgenkind, das sich auf unheimliche Art mehr und mehr einer der tragischen Figuren des Vaters angleichen wird?

© WDR 3, Kulturfeature, 29.12.2019

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