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„Die Corona-Krise macht ein Zwei-Klassen-System sichtbar“ Wie gerecht ist der Orchesterbetrieb?

Wer in staatlichen Institutionen festangestellt ist, genießt finanzielle Absicherung – freiberufliche Musikerinnen und Musikern dagegen haben es schwer. Lobbyismus – das klingt unsympathisch. Nach Kungelei und Hinterzimmer. Und doch haben viele Akteure in der Kulturszene in der Krise gemerkt, wie wichtig es ist, über eine starke Interessenvertretung zu verfügen.

Von Frederik Hanssen

Die fest angestellten Klassik-Musikerinnen und -Musiker beispielsweise sind fast vollständig in der Deutschen Orchestervereinigung organisiert. Weil die Gewerkschaft auch schon vor Corona für ihre Mitglieder hart gekämpft hat, verdienen die Orchestermitglieder an den kleinen Stadttheatern oft mehr als die Gesangssolisten.

Oder anders gesagt: Die Instrumentalisten sind die einzige Berufsgruppe, die hier angemessen bezahlt wird, während junge Sängerinnen und Sänger für einen Hungerlohn auftreten.

Die Rechte jener, die in staatlich subventionierten Institutionen sowieso einen sicheren Job haben, werden auch in der Pandemie durch die Orchestervereinigung verteidigt.

Freiberufliche Musikerinnen und Musiker dagegen stehen völlig schutzlos da, ohne offizielles Sprachrohr und ohne gewiefte Verhandler, die bei der Politik auf der Matte stehen. Immerhin gibt es seit zwei Jahren „Freo“, die Vereinigung der Freien Ensembles und Orchester in Deutschland.

Eine Erfolgsgeschichte

Lange hatten sich das Freiburger Barockorchester, die Akademie für Alte Musik Berlin, das Mahler Chamber Orchestra oder auch das Ensemble Modern als stolze Einzelkämpfer mit Alleinstellungsmerkmal verstanden, „Freo“ war darum zunächst als Plattform des Erfahrungsaustausches gedacht.

In der Corona-Krise aber wächst ihr nun die Aufgabe eines Lobbyisten zu. Der dafür sorgen muss, dass Ensembles wie das Deutsche Kammerorchester (DKO) nicht kaputt gehen.

Gleich nach der Wende wurde das DKO gegründet, von Profis aus West und Ost, mit dem Ziel, den Prozess der Wiedervereinigung auf musikalischem Gebiet vorzuleben.

Das spontane Projekt entwickelte sich zur Erfolgsgeschichte, das DKO veranstaltet seit vielen Jahren seine eigene Konzertreihe im Kammermusiksaal der Philharmonie – und kann auf seine treuen Abonnenten zählen.

„Fast keiner hat seine Tickets gegen Bargeld zurückgetauscht, als der Lockdown kam“, erzählt Geschäftsführerin Julia Böhmer. „Und die allermeisten haben ihr Abo auch für diese Saison verlängert.“

© Der Tagesspiegel, Kultur, 16.11.2020

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