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Der Klangpoet Matthias Kaul „Vom Reichtum erbärmlicher Klänge“ Von Carolin Naujocks

Der Schlagzeuger und Komponist Matthias Kaul war ein Ohrenmensch. Als „Manie eines Hörsüchtigen“ bezeichnete der in diesem Jahr verstorbene Musiker seinen Hang, auch im Alltag alle Gegenstände einer akustischen Prüfung zu unterziehen.

Im Laufe von Jahrzehnten hatte Matthias Kaul (1949-2020) ein nahezu unüberschaubares Arsenal ausgesuchter Instrumente zusammengetragen. Doch konnten es neben exotischen Schätzen die unscheinbarsten Objekte des Alltags sein, die sein musikalisches Interesse weckten.

Tonproduktionen sind immer Entspannungsvorgänge

Nicht umsonst erfand er vor Jahren einen „Klang-TÜV“, einen „Musikverkauf aus Haushaltsauflösungen“, bei dem das Publikum eingeladen war, jedes gewünschte Material – Schüssel und Schrauben, Klingeln und Bleche – auf seine Musiktauglichkeit testen zu lassen.

Gerne sprach Kaul von den „erbärmlichen Materialien“. Dabei hatte er einen recht liebevollen Blick auf Dinge, die normalerweise achtlos beiseite gelassen werden, und ein Gespür für das akustische Potential, das in ihnen steckt: „Ich glaube, das ist ein ganz wichtiger Punkt, den wir von John Cage gelernt haben, dass man mit Materialien gewaltfrei umgeht“, so Kaul.

Ensemble L’Art pour l’art

Gemeinsam mit der Flötistin Astrid Schmeling und dem Gitarristen Michael Schröder hatte Matthias Kaul 1983 das Ensemble „L’art pour l’art“ gegründet. Die Mischung von ästhetischem Anspruch und spielerischer Leichtigkeit, mit der das Ensemble ambitionierte, oft ungewöhnliche und nicht selten grenzüberschreitende Projekte verfolgte, strahlte über die Grenzen des Metiers hinaus und verschaffte ihm einen besonderen Platz in der Neue-Musik-Szene. 

Allein der gewählte Name „L’art pour l’art“ zeugte von einem ebenso wachen wie ironischen Blick auf den etablierten Musikbetrieb, waren doch die Musiker keineswegs an der retroversiven Auflage einer längst historisch gewordenen Kunsttradition interessiert. Stattdessen versuchten sie aus den Erfahrungen der stürmisch geführten 68er-Diskussion ästhetisch eine Summe zu ziehen.

Ich suche nichts Neues, ich bewerte es anders

Im April 2016 war Kaul zu Gast in der Akademie der Künste, Berlin. Die dortige Ausstellung „DEMO:POLIS – Das Recht auf Öffentlichen Raum“ wurde von einem Musikprojekt begleitet, bei dem der Musiker unter dem Titel „Dezentrale Musik“ verschiedene Klangsituationen arrangierte.

Tag- und Nachtmusik der Massai

Bei dieser Gelegenheit hat Carolin Naujocks mit Kaul über vieles gesprochen, was mit seiner Kunst zu tun hatte. Dabei ging es auch um akustische Dramen, Tag- und Nachtmusik, warum Klänge geschwätzig sein können und um seine Erfahrungen bei den Massai.

Am 1. Juli 2020 ist Matthias Kaul gestorben.

© Deutschlandfunk Kultur, Neue Musik, 1.10.2020

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