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Anaïs Nin: „Den Traum leben“ und Henry Miller: „Boogie Woogie der Hormone“

Diese hell strahlende Vergangenheit ist lokalisiert im Paris Henry Millers, und vorerst noch scheint Anaïs Nin dazu verurteilt zu sein, im Schatten Millers zu stehen. Nur in Verbindung mit dem seinen stößt man auf ihren Namen. So auch jetzt, da zu gleicher Zeit.

Anaïs Nin – Den Traum leben

Keine Schriftstellerin hat sich derart umfassend zur eigenen Person geäußert wie sie. Anaïs Nin, führte nicht nur seit ihrem 11. Lebensjahr ausgiebig Tagebuch; sie griff auch in ihren Romanen, Kurzgeschichten und Novellen auf eigene Erlebnisse zurück. Die Erotik spielte darin eine zentrale Rolle. Auch in den Tagebüchern, die ihr 1966 zum langersehnten literarischen Durchbruch verhalfen, verwebte sie Phantasien, Wunschträume, Deutungen und real Erlebtes.

Autorin: Carola Zinner / Regie: Christiane Klenz

Henry Miller – Boogie Woogie der Hormone

Henry Miller galt als Autor für die einen als Erzähler der „fundamentalen Wirklichkeiten“, für die anderen als obszöne „Latrinen-Literatur“. Er wurde gelobt als Prophet der sexuellen Revolution und verteufelt als Pornograph. So skandalumwittert wie sein autobiographisch geprägtes Werk war sein Leben. Ein Leben, das weniger von erotischen Abenteuern geprägt war als vielmehr von der modernen kapitalistischen Gesellschaft, die Miller zeitlebens harsch kritisierte. Die Antithese zu seiner Heimat New York, „das alte Drecksloch“, bildete für ihn Europa, in erster Linie Paris, aber auch Griechenland. Beeinflusst von Philosophen wie Friedrich Nietzsche oder Oswald Spengler versuchen seine Bücher nicht weniger als den Abgrund zwischen dem denkenden und dem nicht denkenden Menschen zu überbrücken. Auf dem Gebiet der realistischen Erzählung wird Miller mittlerweile in einem Atemzug mit Dickens, Balzac oder Zola genannt. Und auch wenn sein „Wendekreis des Krebses“ oder „Sexus“ die Öffentlichkeit moralisch empörten, so scheint alles in Unbekümmertheit und Unschuld hinsichtlich der Schockwirkung auf den Leser geschrieben. Mit seiner provokanten Sprache und seiner nonkonformistischen Lebensweise und Perspektive wirkte er auf zahlreiche Autoren der sogenannten Beat Generation und der Postmoderne, die – wie Henry Miller – die Werte der Mittelschichtsgesellschaft verachteten.

Autor und Regie: Frank Halbach

(c) Bayern 2, Wissen, 16.6.2020

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