Nachhören

Mord, Verbrechen, Kunst „Wenn ich das Wort Kultur höre, entsichere ich meinen Browning“

Die schönsten Leichen, die größten, brutalsten und sinnlosesten Morde und deren völlig unmoralische Feier als Kunstwerk durch den ganz ansonsten unverdächtigen Autor Andreas Ammer!

Niemand geringerer als der spätere Präsident der Reichsschrifttumskammer legt seinem Dramenhelden Schlageter den martialischen Satz „Wenn ich das Wort Kultur höre, entsichere ich meinen Browning“ in den Mund.
Was aber im Faschismus als populistische Verdammung der Kultur gelesen wird, ist umgekehrt seit langem fester Bestandteil der Kulturproduktion: Der Mord, das Verbrechen, besitzt eine gefährliche Nähe zum Kunstwerk. Darf man, wenn ein Mord passiert ist, daraus Kunst machen?
Sagen darf man das nicht unbedingt: Der Avantgardekomponist Karlheinz Stockhausen hatte 2001 mit einem Schlag seine ganze Reputation verspielt, als er die Anschläge auf das World Trade Center als „das größte Kunstwerk, was es je gegeben hat“, bezeichnete. W. S. Burroughs hingegen hat seine Frau erschossen, als er ein Whiskeyglas treffen wollte, das diese auf ihrem Kopf balancierte. Erst danach wird der Mörder zum Dichter. Kunst ist dann oft das Produkt.
Aus den Hitparaden bekannt ist das Eintreten des späteren Literaturnobelpreisträgers Dylan für die Schicksale der ermordeten Hattie Caroll oder des zu Unrecht verurteilten Hurricane Carter – zwei Beispiele, in denen Mord – so wie es de Quincey in seinem notorisch bekannten Essay gefordert hatte – zur schönen Kunst geworden ist.
Am poetischsten ist der Mord natürlich, wenn er misslingt: Wenn der französische Dichter Verlaine seinen Liebhaber mit dem Revolver nicht nur ins Bein getroffen hätte, sähe die Literaturgeschichte heute anders aus. – Der Rest ist Krimi.

Von Andreas Ammer
BR 2017

© Bayern 2, Nachtstudio, 16.5.2047

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert