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hör!spiel!art.mix Elfriede Jelinek: „Das Licht im Kasten“

Von barocker Vanitas bis zum Cover der Vogue, von Platons Höhlengleichnis bis zum Bild Gisele Bündchens im H&M-Bikini in den Leuchtkästen der U-Bahn, von Armsein bis Armani: In ihrem jüngsten Text beschäftigt sich Elfriede Jelinek mit dem Phänomen Mode.

Die stumme Schrift der Kleidung, die den Mensch umschreibt, „als wagte sie sich nicht an seinen lava heißen Kern“, verwandelt Jelinek in einen furiosen Rausch des Sprechens, der nahtlos von teurer Haute Couture zu billiger Massenware wechselt, für die Arbeiter und Arbeiterinnen in Sweatshops einen grauenhaften Preis bezahlen. Sie kombiniert Orgien mit Opfern, Outlet-Stores mit Online-Shopping, Entwürfe von Weiblichkeit mit Männerphantasien, sie zeigt die Schnittstellen von Ökologie und Ökonomie, verknüpft antike Mythen, Kants Kritik der reinen Vernunft und Heideggers Begriff von Sein und Zeit mit modernem Körperkult, Selfie-Manie und der Sehnsucht nach dem perfekten Leben, dessen Uhr jedoch beständig tickt. Ewig kehrt das Gleiche wieder, nur seine Form verändert sich, und im scheinbar Trivialen stellt Das Licht im Kasten die grundlegende Frage nach dem Wesen unserer nackten Existenz.

„Punkt, Punkt, Komma, Strich, fertig ist das Angesicht. Meint man. Aber das Mensch will mehr: Jacke, Bluse, Rock und Hose. Und einen Mantel für die Ewigkeit. Um aus Punkt, Punkt, Komma, Strich jenen Mehrwert heraus zu kitzeln, den eine hübsche Verpackung verspricht, braucht es die Mode. Das ewig Gleiche im saisonalen Halbjahrestakt. So wird aus diesem Einteiler von Elfriede Jelinek das Outfit für eine Art Schreittanz um das Goldene Kalb, das uns in Form hintergrundbeleuchteter Werbeflächen in der Dämmerung entgegenleuchtet. Hier wir, dort das Model. Hier ‚zu kurze Beine und ein zu dicker Arsch‘, dort die vermeintliche Perfektion des Körpers schlechthin. Da lässt sich trefflich herumheideggern und hinderdreinkanten, ob wir aus dem Anschein etwas Sein für unser Dasein extrahieren können, ohne auf die Illusion von etwas Seiendem hereinzufallen, das allerhöchstens ein Näherungswert sein kann. Doch den Blick auf diese existentiellen Paradoxa des Modischen verdecken ohnehin jene Staubwolken, die aufschwellen, wenn in Bangladesch, in Laos, in China die hastig hingeschluderten Fabriken zusammenstürzen und Dutzende Arbeiterinnen unter sich begraben.

Mit vielfältigsten Sprechkunststücken wagt sich ChrisTine Urspruch zusammen mit der Regie auf das Parkett dieser Marathon-Sprachtanzveranstaltung unterm Schein des Sprachgeglitzers aus dem Kasten, das zuweilen an die gute alte Disco-Kugel erinnert. Den Sound dazu liefert Stephanie Müller mit Unterstützung von Klaus Dietl und Ruslan Boyarin.“ (Karl Bruckmaier)

Elfriede Jelinek: Das Licht im Kasten

Mit Christine Urspruch
Musik: Stephanie Müller
Regie: Karl Bruckmaier
BR 2017, Länge: 76‘34

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