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Eine Lange Nacht mit Henry Maitek „Der Blick des Fotografen“

Der 16. April 1945 ist der Tag der zweiten Geburt des Henry Maitek (1924-2007). Eine viereinhalbjährige Odyssee durch mehrere Konzentrationslager des Nazi-Regimes ging für den jüdischen Häftling an diesem Tag unweit von Buchenwald zu Ende. Nach der Befreiung durch die U.S. Army gehörte sein Leben ganz der Fotografie.

Von Monika Künzel und Thomas Linden

Mit mancher Begegnung ist es wie mit der Liebe: Später fragt man nicht mehr, wie lange sie währte, später ist nur noch wichtig, dass es sie gab. Als ich „Sir Henry“, wie ihn seine Freunde nannten, kennen lernte, lebte er schon über 50 Jahre in seiner Wahlheimat Köln. Viele seiner über 20 Bücher zeigen Maiteks Köln und den Karneval als zentrales Lebensgefühl im Wandel der Zeiten; nach dem Krieg feierten die Rheinländer – fast – unter sich, heute mischen sich Tausende aus über 100 Nationen darunter.

Oder Kinder, Jugendliche: vorsichtig, ungestüm, scheu  oder auftrumpfend, mit ersten eigenen Erfahrungen von Nähe und Zurückweisung. Oder alte Menschen: Er zeigt sie nicht als Objekte von Vergänglichkeit. Henry Maitek fasziniert Alter als Prozess der  Reifung, der erst endet, wenn der Mensch sich dieser Chance verweigert. Mit all seinen Bildern erzählt Henry Maitek seinen Betrachtern Geschichten und gibt ihnen zugleich Rätsel auf, ermuntert sie, dem Geheimnis Mensch und damit sich selbst näher zu kommen.

Der 16. April 1945 ist für Henry Maitek der Tag seiner zweiten Geburt. Amerikaner befreiten den jungen jüdischen Elektriker nach einer über vierjährigen Odyssee durch mehrere Konzentrationslager. Bei der US-Army arbeitete er auch die ersten Jahre nach dem Krieg als Fotograf. Hier mag eine tiefe Dankbarkeit begründet liegen, die ihn Zeit seines Lebens mit den Amerikanern verbunden hat. Zwar fotografierte er in späteren Jahren auf seinen Reisen amerikanisches Leben in all seiner Widersprüchlichkeit, doch ohne jede heute allzu modische europäische Herablassung. Wie ihm auch jede Besserwisserei in der Begegnung fremd ist. Dabei weiß er so viel vom Leben, von den Abgründen des Menschseins. Seine Bilder sind Momentaufnahmen von Lebensgeschichten, die jeder Betrachter weitererzählen könnte. Ich habe nicht ein Bild entdeckt, das sein fotografisches Objekt verletzt oder lächerlich macht, aber viele Bilder voll Humor, den Moment auskostend, den Augen-Blick. Das ist wohl seine Art, seine Würde zu bewahren, sich dabei abzustoßen vom Erlebten, Erlittenen, Erbärmlichen und jene – auf seine Art – zu beschämen, die sich Genugtuung für erlittenes Unrecht über die Herabsetzung anderer verschaffen.

So haben Henry und seine Frau Ruth mit dem Vorsatz geheiratet: Wir sprechen nicht über die Zeit im Lager. Nur, wenn wir etwas erzählen, wo man lächeln kann. Das Leben ist schön. Freiheit und Würde und Respekt, auch oder gerade im Angesicht massenhaften Sterbens, haben ihm geholfen zu überleben und sein Leben  bestimmt. Nur mit der Hoffnung steht er seither auf Kriegsfuß. Weil er sah, wie sie die letzten Kräfte verzehrt hat: Wer weniger hofft, ist gezwungen zu denken, etwas zu tun. Wie er sich auch früh von der Hoffnung verabschiedet hat, Menschen ändern zu können. Dafür hat er beschlossen, den Blick auf seine Zukunft, die Mäander seines  Lebens um jeden Preis selbst zu bestimmen. Ob die lakonische Einsicht entscheidend dafür ist, frei nach den Bremer Stadtmusikanten: Etwas Besseres als den Tod findest du überall? Oder die Kraft, die er aus seiner glücklichen Partnerschaft schöpft oder aus starken Freundschaften oder ein Destillat aus allem?  Henry Maitek hat einen Zugang zum Leben gesucht und gefunden, der ihm zum Menschenfreund macht, ohne sich je vereinnahmen zu lassen.

Mit Freunden wie Wolf Vostell und Paul Karalus gründete er zwischen verrückten Happenings  die Zeitschrift „Stil 65“: zeitkritisch, intelligent, provozierend auch in der strengen Schwarz-Weiß-Gestaltung. „Stil 65“ kostete eine DM, aber die Blattmacher all ihre Zeit und all ihr Geld. Nur  kaufen wollte die Zeitschrift damals keiner. Und so  ist „Stil 65“ nur einmal erschienen… Als Henry Maitek mir davon erzählt, war er so jung, so vergnügt, so rebellisch wie bei unserem Gespräch, das dieser Langen Nacht zugrunde liegt.

Wir senden diese Lange Nacht anläßlich des zehnten Todestags Henry Maiteks.

Monika Künzel

© Deutschlandfunk, Lange Nacht,  11.02.2017

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