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„Du sollst ein Geheimnis haben“ Ein Plädoyer für das Verschweigen

Im Netz wird der Mensch zum Datensatz. Diese Datensätze sind wertvoll – die Nutzer geben sie dennoch einfach preis. Wer sich darauf beruft, er habe nichts zu verbergen, hat nicht verstanden, was die Netzkonzerne eigentlich von uns wollen.

Von Martin Zeyn

Die Denkfabriken des Silicon Valley predigen eine Kultur der Offenheit. Das Konzept der Privatheit sei überholt, bald werden wir keine Geheimnisse voreinander mehr haben. Misstrauisch sollte uns machen, dass eben diese Firmen, ob nun Google, Facebook, Paypal oder Amazon, nicht gerade auskunftsfreudig sind, wenn wir wissen wollen, was sie über uns wissen. Wissen ist nicht nur Macht, sondern auch ein Geschäftsmodell.

Immer mehr Produkte sind heute mit Sensoren und Sendern ausgestattet, werten Daten aus und schicken diese an Rechenzentren: Fitnessarmbänder, PKW, Puppen. Und je mehr wir uns im Internet bewegen, desto genauer kennen uns die Großen des Internets: unseren Tagesrhythmus, unsere Vorlieben, unsere finanziellen Möglichkeiten. Die Auswertung von 300 Likes reicht laut einer Stanford-Studie aus, um einen Menschen besser zu kennen als der eigene Partner. Ist Anonymität also im Netz eine Illusion? Holen wir uns freiwillig Wanzen ins Haus? Brauchen wir vielleicht nicht weniger, sondern mehr Geheimnisse? Nicht die kleinen, die wir bald hinter uns lassen, selbst ausplaudern. Aber die großen, die wir nur ganz wenigen, nur den allerengsten Vertrauten verraten? Denn das Geheimnis ist nicht nur eine Brutstätte für Psychosen und Neurosen, zu dem es die Psychoanalyse gerne macht. Das Geheimnis ist auch eine Selbstermächtigung: Wir bestimmen, wer wir sind, weil wir es sind, die das Bild von uns bestimmen. Was aber, wenn etwas oder jemand glaubhaft machen kann, uns besser zu kennen als wir selbst?

 

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© Bayern 2, Nachtstudio, 9.1.2018

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